ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen

ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen

Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.

Ich kreise um Gott, um den uralten Turm,
und ich kreise jahrtausendelang;
und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm
oder ein großer Gesang.


Rainer Maria Rilke, 20.9.1899, Berlin-Schmargendorf

Luise Rinser – Heute fürchte ich nichts

Luise Rinser – Heute fürchte ich nichts

Heute fürchte ich nichts,

heute zeige ich mich

freimütig schutzlos dem Tag

und wage, mich zu freuen,

weil ich lebe,

weil ich auf eine Art lebe,

die nur ich weiß und kann,

ein Leben unter Milliarden,

aber das meine, das etwas sagt,

was kein anderer sagen kann.

Das Einmalige eines jeden Lebens.

Es macht heiter, zu wissen,

das jeder recht hat mit sich selbst.

Schön ist es älter zu werden,

erlöst von sich selbst,

von der gewaltigen Anstrengung

etwas zu werden“,

etwas darzustellen in dieser Welt,

gelassen sich einzufügen

irgendwo, wo gerade Platz ist

und überall man selbst zu sein

und zugleich weiter nichts

als einer von Milliarden.

Luise Rinser